Beschreibung
Eine französische Version dieses Artikels ist erschienen unter: Weber, Thomas (2008): „Ravensbrück – Deux sites web ou la question de la perspectivation médiale de l’Holocauste.“ In: Bulletin trimestriel de la Fondation Auschwitz, H. 99, S. 35–47.
In den letzten Jahren ist in den verschiedenen Instanzen der historischen Vermittlungsarbeit eine Tendenz zur „Perspektivierung“ zu beobachten, d.h. eine Privilegierung – und damit einhergehend auch eine Ausdifferenzierung – einerseits von Opferperspektiven und andererseits in durchaus spektakulärer Hinsicht: von Täterperspektiven.
Perspektivierung hat ihre Ursache nun keineswegs allein nur im Exploitationsinteresse der Massenmedien, die sich leicht ganz anderen Themen zuwenden könnten, sondern scheint ebenso in einem gewandelten Verständnis von Geschichtsvermittlung begründet, die der Mediatisierung bedarf. Die Perspektivierung des Holocausts – so die hier verfolgte These – ist Ausdruck einer „notwendigen“ Mediatisierung.
Sie unterscheidet sich damit von jener Perspektivierung, die das Gros der Auseinandersetzung über Jahrzehnte hinweg in Deutschland begleitete, die eine Opferperspektive allein schon deshalb privilegierte, um sich mit der Frage nach der Schuld der Täter nicht auseinandersetzen zu müssen.
Tatsächlich geht es hier weniger um einen vordergründigen moralischen Standpunkt, sondern um eine technische und medial bestimmte Form der Perspektive, die neben einem bestimmten „Kamerastandpunkt“ auch eine bestimmte Form der Dramaturgie bevorzugt (was nun die Frage nach einem moralischen Standpunkt keineswegs obsolet macht, nur eben nicht „vordergründig“ behandelt).
Durch das allmähliche Verschwinden von Zeitzeugen – häufig als mögliches Motiv für eine umfassende Mediatisierung angeführt – gibt es zumindest eine Krise der Authentifizierung. Einerseits entfällt die Unmittelbarkeit von Zeitzeugen oder auch von Mediatoren (als Fotografen, Kameraleute usw., die als Zeugen der medialen Aufzeichnung von Zeitzeugen authentifizierend wirken könnten) als Authentifikationsargument, andererseits wächst eine neue Generation heran, die an andere, neue technische Möglichkeiten gewöhnt ist und entsprechend an mediale Vermittlungsarbeit andere Erwartungen hat.
Insofern stellt sich die Frage nach der Vermittlung heute anders, ja ist wahrscheinlich ein Paradigmenwechsel der Vermittlungsarbeit selbst zu beobachten, dessen Ausmaß derzeit eher noch fragmentarisch beschrieben, denn systematisch analysiert werden kann. Nicht zuletzt wäre dabei auch die Frage zu stellen, inwieweit medienwissenschaftliche oder mediologische Begriffe hier einen Beitrag leisten können.